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«Neualtes» Gewand für ein altes Bauernhaus

26.08.2021 PHILIPP HOSTETTLER, Architekt, Mitglied igaltbau

Altbau-Renovation – Ein historisches Wohnhaus, das seit 100 Jahren im Familienbesitz ist, wurde in den 1970er-Jahren substanzfremd renoviert. Unklarheit über Abriss oder Erhalt und die vierte Generation, eine junge Familie, die hier wohnen wollte – das war die Ausgangslage dieses baulichen Abenteuers am Ostrand von Luzern.

Der Projektanfang stand unter spannenden Vorzeichen: Gegenstand war das elterliche Gehöft, der Eggenhof am Ostrand von Luzern, dessen geschichtlicher Ursprung bis ins 16. Jahrhundert belegt ist. Als letzter von ehemals sieben Bauernhöfen stand er noch da, inmitten neuzeitlicher Überbauungen. Ein dicht an der Kantonsstrasse stehendes Wohnhaus, eine voluminöse Scheune, alte Hofbäume, ein Obstgarten und rundumliegendes Wiesland gehörten dazu. 

Bei der Substanzbeurteilung registrierte man am Wohnhaus nicht nur die an der Kellertür angebrachte Jahreszahl 1737, sondern fand im Keller und auf dem Dachboden diverse Bauteile, die auf das angeschriebene Alter hindeuteten. Ansonsten zeigten sich die Innenräume im Stil der Modernisierungen der vergangenen Jahrzehnte, die nur wenig Bezug zur Geschichte und Identität des Hauses herstellen konnten. Die verputzte Fassade mit sprossenlosen Einflügelfenstern liess die Diskrepanz zum «alten Geist» des Hauses, dessen ehemalige Schindelfassade mit filigranen Sprossenfenstern durch ein vergilbtes Foto von ca. 1924 im Familienalbum belegt ist, noch deutlicher hervortreten.

  

Doppelzimmer im Obergeschoss: gedämmte Aussenwände mit Wandheizung und Sumpfkalkputz sowie freigelegtes Holzwerk. Essstube mit neu eingebautem historischem Kachelofen aus der Biedermeierzeit. Die neue Küche befindet sich im ehemaligen Esszimmer und hat ein Durchreiche-Fensterchen zum Aussensitzplatz hin. (v.l.n.r.) BILDER STEPHAN BÖSCH

Projekterstellung und Kostenschätzung im «Blindflug-Modus»

Die konzeptionelle Planung und eine Kostenschätzung mussten im «Blindflug-Modus» erstellt werden. Der Zustand des Tragwerks und der alten Wandoberflächen unter den mehrlagigen Schichten vergangener Modernisierungsetappen konnte nur vermutet werden. Da halfen auch kleine Sondierungen nur bedingt. Die Wahrheit darüber, was sich wirklich unter den Decken, Wand- und Fassadenverkleidungen und den neueren Bodenbelägen versteckte, würde erst ein umfassender Rückbau zutage bringen. Mit dem Grundsatzentscheid der Eigentümer-Familie, das Bauvorhaben zu wagen und durch die Gesamt- Renovation ein Wohnen im geschichtsträchtigen Familienhaus zu ermöglichen, war deshalb – durch die erschwerte Kostenkalkulation – ein Wagnis verbunden.

Rückbau bis auf die ursprüngliche Substanz

Mit dem durch die Bauherrschaft vollzogenen Rückbau startete ein bauliches Abenteuer, das alle Beteiligten die nächsten 13 Monate auf Trab halten sollte. Schicht um Schicht wurde abgetragen, in engen zeitlichen Abständen vom Architekten begutachtet, damit ja keine Bauteile, die zur Ursprungssubstanz gehören und historisch Gewicht haben, in der Baumulde landeten. Nach und nach zeigten sich so die «Innereien» des Hauses – ursprüngliche Wände, Böden und Decken, Stützen und Träger. Bald wurde klar, dass das Bauernhaus in der Biedermeierzeit, vermutlich um 1840, aufgestockt und mit klassizistischen symmetrischen Fenstern versehen wurde. Auch wurden damals die Decken nach oben verschoben, um Raumhöhe zu gewinnen.

Nach dem Rückbau begann die kreative Arbeit des Architekten, die viel Verständnis für die Substanz verlangte. Passt das ursprünglich vorgesehene Raumkonzept zur aufgefundenen Raum- und Tragstruktur? Sind die Raumverbindungen richtig gewählt oder kommen unvermutete Türen zum Vorschein, die eine Anpassung des Grundrisses als sinnvoll erscheinen lassen würden? Wie ist der Zustand der Tragstruktur und wie jener der freigelegten Decken, Wände und Böden? Welche dieser Bauteile sollen zu atmosphärischen Blickfängen werden? Sollen beschädigte Altbauteile gezeigt oder wieder zugedeckt werden? Was soll wiederhergestellt und was ersetzt werden? Diese Fragen stellten sich in jedem Raum neu. Am Schluss sollten alle Einzelteile zusammen ein sinnvolles und harmonisches Ganzes ergeben.

 

Diele im Dachgeschoss: neu bis in die Dachschräge zum freigelegten Rosettenfenster geöffnet. Die stark ausgetretene Treppe aus der Biedermeierzeit wurde mit hofeigenem Ahornholz aufgedoppelt. (v.l.n.r.) BILDER STEPHAN BÖSCH

Überraschungen während der Renovation gehören dazu

Das Bauvorhaben wurde mit Handwerkern der regionalen igaltbau- Werkgruppe Zentralschweiz angegangen, deren Unternehmen sich in Luzern und näherem Umfeld befinden. Zimmerleute trieben die Renovationen in enger Absprache mit der Bauherrschaft und dem Architekten voran: von den Altholz- Reparaturen bis zum Einziehen neuer Sparren, die im Dach nötig wurden. Weiter am Werk waren der Dachdecker, der sich geduldig der neuen Holz-Schindelfassade annahm, sowie der Metallbauer, der sich versiert um das alte und neue Balkongeländer kümmerte. Der Heizungsinstallateur evaluierte die Wärmeerzeugung und konzipierte zusammen mit dem Architekten die Wandheizung.

Vor Überraschungen im Bauprozess war man aber nicht gefeit. Sie gehören zu einem solchen Bauvorhaben. Mal waren sie erfreulich, etwa als im Erdgeschoss mit alten Backsteinen ausgefachte Wände und mit Sandsteinplatten bedeckte Böden freigelegt wurden, mal waren sie ernüchternd und kostentreibend, weil beispielsweise die «gebastelte» Nordwand komplett erneuert werden musste – den bäuerlichen Vorfahren fehlte damals schlicht das Geld.

Im Allgemeinen bestätigte sich jedoch die Regel, dass die handwerkliche Qualität der Arbeit unserer Vorfahren im alten Baubestand sehr hoch war und die Bauteile deswegen mit etwas Pflege problemlos Jahrhunderte überdauern.

Durch das nötige Know-how und das herzvolle Engagement aller Beteiligten war es bei diesem historischen Wohnhaus möglich, den Erhalt des Hauses für die nächsten 100 Jahre zu sichern. Damit erhielt die hochstehende Baukultur früherer Generationen eine rühmliche Fortsetzung. Das Wohnhaus blieb dem Ort als identitätsstiftender Zeuge erhalten, ganz zur Freude der jungen Familie und der Nachbarschaft.

igaltbau

Die igaltbau ist eine Werkgruppe von Handwerkern und Planern mit grosser Erfahrung in der Renovierung und ganzheitlichen Sanierung von Altbauten. Die in St. Gallen, Appenzell, Bern, Thurgau, Glarus, Zürich, Winterthur, Aargau, Nordwest- und der Zentralschweiz ansässigen Werkgruppen bedienen die gesamte Palette an Bauleistungen.

Weitere Infos: www.igaltbau.ch